„Die Macht der Farben in der Gestaltung“

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Farben beeinflussen sehr stark, ob wir ein Design als ästhetisch empfinden oder nicht. Wie können Gestalter sich die Macht der Farben zunutze machen, um Produkte begehrenswerter oder besser erscheinen zu lassen?

Farben sind entscheidender Faktor zur Bewertung der ästhetischen Stimmigkeit und Qualität eines Produktes. Gestalter müssen daher sensibel sein für die Vielfältigkeit an Farbbedeutungen. Dafür ist es hilfreich, Farbe als eine Metaebene zu verstehen, welche fast alle Formen der menschlichen Kommunikation beherrscht. Farbe vereint Eigenschaften aus allen menschlichen Sinnen, vermittelt kulturelle Werte und ist rein funktional wirksam.

Ein gutes Farbdesign reagiert gleichermaßen auf diese drei Parameter und vereint sie in Abhängigkeit zum Produkt. Gutes Farbdesign ermöglicht lesbare und identifizierbare Objekte und Räume in beinahe allen Lebensbereichen. Identifizierbar bedeutet, diejenigen Farben und Materialien auszuwählen, welche die Essenz des Objektes oder Raumes im zeitlichen und räumlichen sowie emotionalen und funktionalen Kontext unterstreichen. Durch die Anwendung spezifischer Methoden des Farbdesigns können wir die Codes oder die Sprache der Farbe kontextgebunden an die Gegenwart und mögliche Zukunft anpassen. Das Instrument Farbe ist deshalb machtvoll, weil sie sehr positiv wirken kann, aber auch sehr negativ.

Farben werden häufig Werte wie warm, kalt, hochwertig oder billig zugeordnet. Welche Rolle spielen solche Assoziationen – generell und insbesondere in Bezug auf Trendnuancen?

Farbbedeutungen haben eine große Verwandtschaft mit sprachlichen Assoziationen. Ähnlich wie die Sprache haben wir die Bedeutung von Farben zum großen Teil während des Aufwachsens durch reines Erleben erlernt. Farbbedeutungen kennen wir allerdings nicht durch den bewussten Umgang mit Buchstaben und Worten, Grammatik und Satzbau, sondern zum allergrößten Teil durch das unbewusste Beobachten und Verinnerlichen der Welt, die wir mit unseren angeborenen Sinnen aufnehmen. Daher ist die Bedeutung von Farbe anders als schriftliche Botschaften ungleich subtiler und schwerer zu entschlüsseln. Das Sehen von Farbe gleicht einer Sprache, die wir zwar irgendwie verstehen, deren Grammatik wir in den meisten Fällen aber nicht kennen. Sprachliche Assoziationen haben die größte Verwandtschaft mit Farbbedeutungen weil sie ebenfalls der Lebensumwelt entspringen. Daher kann Farbe schreien und flüstern, weich sein oder hart, leicht oder schwer, duften oder riechen, süß sein oder sauer, nah oder fern, jung oder alt, teuer oder billig, altväterisch oder trendbewusst. Allerdings ändern sich Assoziationen je nachdem wie, wo und wann wir aufwachsen und welche Erfahrungen wir bereits gemacht haben. Gesellschaft als dynamischer Prozess entwickelt sich auf Basis der vorher getroffenen Entscheidungen hoffentlich weite. Das gilt genau so für Farbtrends. In früheren Zeiten waren an Farbtrends noch sehr leicht gesellschaftliche und auch technische Veränderungen ablesbar. Heute ist der Farbmarkt stark diversifiziert, aber das deckt sich mit der Entwicklung an Zielgruppen. Die reine Farbe im Eimer kann aber erst einmal garnichts; sie braucht einen Kontext zum wirken und da fängt Design an.

Manchmal stuft man Farbkombinationen, die zunächst unpassend erschienen, nach einer Weile doch als attraktiv ein, oder eine zuvor als altmodisch empfundene Farbe wirkt plötzlich wieder modern. Aus welchen Gründen ändert sich unser Geschmack in Bezug auf Farbe mit der Zeit?

Gesellschaft ist ein dynamischer Prozess, und der Mensch von Natur aus neugierig. Den Effekt der Gewöhnung kennen Sie möglicherweise aus einer unguten Beziehung. Gute Beziehungen erfinden sich immer wieder neu und wir lieben es, neues und ungewöhnliches zu Entdecken. Farbe hat oft genau das richtige Maß an Veränderung, denn sie ändert nicht unbedingt die wichtige Funktion eines Objektes, was uns durchaus verwirren würde, sondern eben „nur“ das Erscheinungsbild in Richtung stimmig, trendbewusst und vor allem zeitrichtig. So beziehen wir natürlich unsere Farbkonzepte nicht aus dem luftleeren Raum, sondern in Bezug zur Geschichte, zu Emotionen und zu Funktionen eines zeitrichtigen Raumes, Objektes oder einer Fläche.

Wie entstehen Trends im Farbbereich, wie entscheidet sich, ob pastellige, knallige oder trübe Nuancen modern sind?

Die Entstehung von Trends ist komplex, hat aber mit gesellschaftlichen Einflussfaktoren zu tun. Durch die Zeit in der Sie leben, ihre Medien, ihre Vorbilder und technischen Entwicklungen, ihr subjektives Gefühl im Gefüge der Gesellschaft. In den 60ern führten technische Entwicklungen zu einem bunten Jahrzehnt. Gesellschaftliche Einflüsse und der Drang nach Individualität haben das noch begünstigt. Heute bieten gute Kollektionen die Bandbreite an Nuancen an. Dabei sind auf der einen Seite stark farbige und, für mich wichtiger und ausdruckstärker, natürliche, getrübte und pastellartige Nuancen. Der emotionale Unterschied zwischen einem intensiven Rot und einem getrübt-aufgehellten Rot ist ungleich größer als zwischen einem intensiven Rot und intensivem Grün. Es ist heute schwer geworden, allgemeine Aussagen zum Trend zu machen, die Segmente sind einfach zu diversifiziert.

Es ist nicht zu sagen, wann ein neuer Farbtrend beginnt oder wer die entscheidenden Impulse gibt. Wir können aber feststellen, dass Farbtrends existieren und Einfluss auf verschiedene Lebensbereiche im privaten und öffentlichen Bereich haben. Sie steuern Verkaufsentscheidungen im Bereich Textil, Produkt, Wohnraum oder Office. Trendfarben zeigen, dass etwas neu und attraktiv ist, sie individualisieren und wirken am Point of Sale besonders anziehend. Der Sinn neuer Farbkollektionen ist es oft, die Aktualität einer Kollektion zeitrichtig zu unterstreichen. Zudem ist der Einsatz von Farbe meist kostengünstig zu bewerkstelligen. Dabei gibt es, wie in allen gesellschaftlichen Bereichen, einflussreichere und weniger einflussreiche Faktoren.

Auf der einen Seite sind Farbtrends ein kommunikativer Prozess. Es gibt spezialisierte Trendagenturen, Trendberichte der Industrie, trendsetzende Jungdesigner und traditionelle, einflussreiche oder avantgardistische Hersteller und die verbindenden Medien. Man trifft sich auf Messen, beobachtet mit Neugierde das aktuelle Feld der Möglichkeiten und diskutiert die aktuelle Lage. Das ist dann ein sich wiederholender, perpetueller Prozess, mit immer neuem Ausgang auf Basis dessen, was bereits gewesen ist. Mit Think Tanks und Design Thinking Methoden werden Bedarfe hinterfragt, neue Ideen geboren und verworfen. Das was übrig bleibt, wird über Marktforschung und Realitätstests validiert oder ebenfalls verworfen. Abgesehen davon sind Trends Ausdruck von Befindlichkeiten gesellschaftlicher Teilgruppen und entstehen im Spannungsfeld der Kommunikation von Interessengruppen.

Auf der anderen Seite können Trends auch analytisch wissenschaftlich betrachtet werden. Das ist vielleicht weniger künstlerisch-experimentell, jedoch zielgerichtet und planbar und im Endergebnis durchaus progressiv. In Hildesheim führen wir komplexe Studien durch, welche die Aspekte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenbringen. Auf Basis von breit angelegten, themenbezogenen Zyklenbetrachtungen der Vergangenheit und halbjährlichen Scoutings der Trends der unmittelbaren Gegenwart entwickeln wir Szenarien und experimentelle Produkte für eine mögliche und wünschenswerte  Zukunft. Das kann ganz allgemein mit Hinblick Farbe passieren, aber auch mit Hinblick auf ein ganz bestimmtes Produktsegment. Aktuell bearbeiten wir an Studien zur Fassade und zum Boden (rendering/CODES & floor/CODES) sowie der Oberfläche der Zukunft (Surface Lab X). Unsere Studie „Farben des Wohnens“ läuft bereits seit über zehn Jahren und wird kontiniuierlich erweitert. Bis jetzt sind wir bei einem Zyklenzeitraum von 1955 bis 2016. Dazu arbeiten wir als Institut mit Herstellern im Segment Farbe, Boden und Wand, etc. zusammen.

Die Macht der Farben in der Gestaltung


28.12.2017