INTERIORS MAGAZINE

INTERIOR 2nd Edition, Interview UNCUT

SWISS KRONO ONE WORLD / 2023.03.03

  • Wie erarbeitet man Farb- und Materialkonzepte?

Erarbeiten Sie sich zuerst ein Gefühl für die Zielgruppe. Stellen Sie sich die Situationen der Nutzung vor. Erarbeiten Sie dann eine Farbpalette und finden Sie Materialmuster, welche für die Funktionen des Ortes, die beabsichtige Stimmung und Ästhetik sowie seine kulturellen Werte stehen. Um die Reaktion auf Farbatmosphären einigermaßen verlässlich planen zu können, liegt ein Ansatz in der Erforschung von Sehgewohnheiten und grundsätzlichen Farbwirkungen sowie in der Betrachtung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das IIT Institute International Trendscouting an der HAWK beschäftigt sich seit 20 Jahren mit diesen Fragestellungen und entwickelt Konzepte für Produktkollektionen und räumliche Kontexte. Farbe in der Architektur erfüllt demnach zahlreiche ineinander greifende Funktionen, die im Entwurf und in der Planung berücksichtigt werden können.

  • Wie finde ich die passende Farbe oder das passende Material für mein Projekt?

Definieren Sie den Kontext, dann werden Sie mit etwas Gefühl die passenden Farben wählen können. Der Kontext besteht aus Gedanken zur Umgebung und zum Ort, zur Zielgruppe, zur Atmosphäre, die erzeugt werden soll, zu sensuell-ästhetischen Merkmalen und funktionalen Aspekten. Dann sind in der Architektur struktureller Aufbau, Tektonik, Schwerpunkt, Raumsequenzen, Baujahr und Stilistik, Formgebung und Oberfläche entscheidende Merkmal, die zu einer richtigen Farbwahl führen oder mit ihr einher gehen. Weiter geht es um den kulturellen Wert des Projektes, in Form ethisch-sozialer Entscheidungen, gestalterischer Aspekte, spielerischer Mittel und narrativer Elemente. Oft beherrschen wir dieses Gefüge intuitiv, da wir mit diesen Faktoren aufgewachsen sind und die Vorbilder bewusst oder unbewusst studiert haben. Viele haben ein gutes intuitives Gefühl für gute Produkte und gute Architektur. Vertrauen Sie daher in privaten Entscheidungen auf ihr Gefühl auf das, was Ihnen gut tut und Ihnen gefällt. Bilden Sie sich weiter und finden Sie ähnliche Projekte. In Kontexten der Planung öffentlicher Bereiche fragen Sie am besten Menschen, die sich schon lange mit den Themen auseinandersetzen.  

  • Was zeichnet ihre Arbeit aus? Wie funktioniert die Methodik? Wie entwickeln sie Farben?

Meine Arbeit prägt ein genaues Hinschauen und Reflektieren. Ich mag nicht so gern das Wort Inspiration, Reflektion scheint mir oft sinnvoller, weil das einen Kontext mit einschließt und die Reaktion darauf.  Unsere Methodik funktioniert nach einem einfachen Prinzip und basiert auf der systematischen Betrachtung gegenwärtiger gesellschaflicher Entwicklungen. Die Basis legt zunächst ein Trendscouting-Workshop an der Fakultät Gestaltung der HAWK in Hildesheim. Dabei werden rund 20.000 Bilder von Messebesuchen, aus Design-Blogs, Zeitschriften und Magazinen gesichtet und analysiert. Diese Insights werden dann, gekoppelt mit Informationen zu Megatrends und gesellschaftlichen Phänomenen, nach Farb- und Stilwelten geordnet und zu Clustern kombiniert. Daraus lassen sich dann Farben zu unterschiedlichen Themen entwickeln. Das ist ein intensiver kommunikativer Prozess. Früher haben wir das händisch gemacht, jetzt machen wir das digital. Das Ganze läuft bereits seit mehr als zehn Jahren zwei Mal im Jahr – und das gibt uns ein ziemlich präzises Gefühl für die Entwicklungen am Markt und darüber hinaus. Konkret heißt das: Die für den Trendreport gewählten Farben basieren auf fundierter Beobachtung und der Auswertung gesellschaftlicher, technologischer und gestalterischer Trends. Wichtig dabei ist, dass der Beobachtungszeitraum nicht nur die unmittelbare Gegenwart, sondern die letzten 50 Jahre einschließt. Würde man Trendscouting ohne eine solche Erfahrungsbasis betreiben, wäre es längst nicht so aussagekräftig. Wertvoll wird es erst in der Wiederholung. 

Um überhaupt zu begreifen, was Farbgestaltung bedeutet, sprechen wir viel über die Gesellschaft. Farben auszuwählen ist vergleichsweise einfach. Dass man damit aber auch eine Botschaft senden und eine Haltung vermitteln kann, das ist etwas, was man lernen muss. 

  • Was sind ihrer Meinung nach die Farben der Zukunft? Gibt es so etwas überhaupt bzw. wie schnelllebig ist das Konzept Farbtrends?

Die Farben der Zukunft gibt es nicht. Es gibt heute sehr viele Bilder der Zukunft, die alle andere Farben tragen. Wir orientieren uns an Megatrends und die zeigen, dass Farben und gute Gestaltung auch in Zukunft eine sehr große Bedeutung für das Leben der Menschen haben werden. Sei es im sozialen Bereich oder bei Produkten, die eben auch Werte vermitteln. Schnelllebige,  bunte Farbtrends sind aber ein Phänomen, das nun eher abnehmen wird. Sensible Emotionalität, Einfachheit und Langlebigkeit sind die Stichworte der Zukunft.

  • Eher knallige Farben oder sanfte Pastelltöne?

Farbe wird ja oft mit Buntheit verwechselt; und Farben, die gerade keine Künstlichkeit vermitteln, gibt es schon sehr, sehr lange. Sie sind oft beliebter als die exaltierten Farben, die sich vielleicht eher für Werbung oder Marketing empfehlen. Dass sich die Avantgarde heute in Zurückhaltung übt, ist relativ neu. Aufmerksamkeit, das merken auch die Marketingabteilungen, ist nicht alles; wir wollen auch Inhalte sehen.  

Aktuell ist es die Kombination natürlicher Töne mit stark bunten Akzenten, eine Kombination, in der sich auch Ambivalenzen und Ambiguitäten unserer Zeit offenbaren. Hier die Natur, die wir zu verlieren fürchten, dort die Technik, die enorme Chancen bietet. Ansonsten ist die Antwort: Beides, bunt und sensibel abgestimmt. Einige Orte müssen laut sein, andere dürfen schweigen.

  • Funktioniert jede Farbe mit jedem Material bzw. was ist ein „perfect match“?

Nicht jede Farbe verträgt jede Oberfläche. Ein pudriger Roséton funktioniert nur mit einer sanft matten Oberfläche. Natürliche Mattheit ist das Thema der Zeit. Glanz funktioniert bei einigen Buntfarben, Metallen und Glas aber nicht bei natürlichen Texturen und Farbtönen. Die aufeinander bezogenen Botschaften von Farbe und Oberfläche dürfen sich nicht widersprechen. Nur dann wirkt das Material authentisch und gut.  

  • Wenn Sie in einen Raum kommen, was muss dieser für sie mitbringen, um sie zu begeistern?

Mich begeistern sensible Raumbeziehungen, tolle, haptische Oberflächen, spannende und mutige Farben kombiniert mit nuancierten Details. Farbe steht zu uns in einem resonanten Verhaltnis. Die Farbe ist es nicht, die etwas in mir auslöst. Es ist meine Vorstellung, die etwas in der Farbe sieht. Und nicht nur dort, es ist meine Vorstellung, die in der Art und Weise wie die Farbe an diesem oder jenem Ort verwendet wurde einen Inhalt spürt. Im Idealfall spüre ich die Schwingungen des Gestaltenden und das reflektierte Können, das zur Gestaltung führte. Können bedeutet dem Betrachtenden etwas zu zeigen, das er oder sie vorher nicht sehen konnten. So wie Musik resoniert indem sie mich etwas fühlen lässt, das ich noch nie empfunden habe. Gestalten bedeutet entdecken, reflektieren und sichtbar machen.

  • Welche Farben haben ihrer Meinung nach die spannendste Wirkung?

Das sind nie einzelne Farben sondern Farbkombinationen. Kombinationen, die ich erst einmal nicht erwarte, die neue Möglichkeiten zeigen. Wir versuchen in unseren Trendberichten immer solche Kombinationen zu finden. Herzstück ist eine Kombinationsmatrix die genau das schafft, spannende Farbbeziehungen. 

Farbe kann von Gestaltenden dazu genutzt werden die Umwelt nachvollziehbar und resonant zu gestalten. Formale Funktionen können so dargestellt werden, dass sie sinnlich-ästhetisch und emotional verstanden werden. So können Funktionen in der Architektur farblich unterstützt werden. Das Resultat sind Umgebungen, die als resonant erscheinen in der Hinsicht als dass die Menschen, die zum Beispiel dort arbeiten, sich gut konzentrieren können, gut miteinander ins Gespräch kommen oder zur Ruhe kommen und sich entspannen. Das Resultat sind resonante Umgebungen und die sind spannend, weil sie mit mir kommunizieren.

  • Bedeutung der Farbe für Menschen und Gesundheit?

Ich empfinde die Räume als gesund, die Rücksicht nehmen auf menschliche Sinne und über die Sinne Gefühle und Emotionen ansprechen, die in dem entsprechenden Raum als förderlich wahrgenommen werden. Räume, mit denen wir uns als ästhetisch-sinnliche Wesen identifizieren können und die uns reizen. Farbe und Material hat daran einen großen Anteil. Schönheit ist ein elementarer Beitrag zur Gesundheit und ein elementarer Faktor in der Debatte um gesunde Lebensräume. Wir bezeichnen Dinge als schön, wenn Inhalt und Ausdruck, Erwartung und Funktion auf eine Art zusammenkommen, die von mittlerer Komplexität und hoher Selbstähnlichkeit geprägt sind. Räume oder Objekte sind nichts anderes als das Produkt menschlichen Handelns und eben so ein Produkt persönlicher, menschlicher Erfahrung und Kommunikation. Sensible Farbgebung ist ein Zeichen für eine gesunde Umgebung. Gesunde und heilsame Orte sind eine Voraussetzung für ein gutes Leben. Mich faszinieren Ideen der 50er und 60er Jahre von Juhanii Pallasma und Günter Feuerstein, die Aneignung und Teilhabe forderten, haptische Architektur, mit dem Körper zu begreifen und vom Aufbau zu verstehen sowie veränderbar und flexibel. Dazu entworfen und nicht geplant. Was dahinter steht ist der Gedanke, dass nur das nachvollziehbar und vorstellbar ist, was selbst hervorgebracht wird. „Wahr“ ist nur das, was emotional und körperlich nachempfunden werden kann. Gesundheit ist nicht reduzierbar auf die Abwesenheit von Krankheit. Im Farbdesign der Zukunft hat Farbe eine unterstützende Wirkung. Sie reflektiert den funktionalen, sinnlich-ästhetischen und kulturellen Gehalt einer Gestaltung und fördert dessen Lesbarkeit. Damit schafft sie ein größeres Ganzes. Die Gestaltung zeitgemäßer und verständlicher Lösungen fördert den Einklang mit den äußeren Lebensbedingungen. Und damit ein gesundes Umfeld. Gesundheit bezeichnet nach Hurrelmann den Zustand des Wohlbefindens einer Person, der gegeben ist, wenn diese Person sich psychisch und sozial in Einklang mit den Möglichkeiten und Zielvorstellungen und den jeweils gegebenen äußeren Lebensbedingungen befindet.

  • Wie wird aus einem Trend eine Farbe?

Wir verwenden eine 8-stufige Methode um globale und regionale Megatrends in pointierte Farbstrategien zu übersetzen und detailliert zu visualisieren. Dabei liegt der Schwerpunkt auf farbig codierter Information sowie ihrer Ausformung und Interaktion in Kommunikation, Oberfläche, Produkt, Raum, Architektur und Stadt.  Branchenübergreifende und -spezifische Wandlungsphänomene werden analysiert, gestalterisch codiert und nutzbar gemacht. 

Die Farben der Zukunft fallen nicht vom Himmel. Sie sind Ergebnis gesellschaftlicher Entwicklung und wie jede Form der menschlichen Kommunikation ein Produkt des Zusammenspiels von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunftsvorstellung. Diese Zusammenhänge sichtbar zu machen, ist die Aufgabe unseres Instituts. Das Ergebnis der Betrachtungen des Instituts sind begründbare und verständliche Szenarien, die Sicherheit in strategischen und an Qualität ausgerichteten Farbentscheidungen zur Folge haben.

  • Wie passen Nachhaltigkeit und Trends zusammen? 

Farbgestaltung ist Ausdruck einer reflektierten Auseinandersetzung mit kulturellen Zeitströmungen (Trends). Wir nutzen langfristige Megatrends, um Architektur und Design zukunftsfähig zu machen. Farbe kann die Attraktivität transformativer Gestaltungsformen erhöhen, Neues und Veränderung markieren. Farbdesigner arbeiten an der Entwicklung von Design und an der Entwicklung von Gesellschaft. Komplexe Scouting- und Monitoringprozesse werden von uns eingesetzt, um diese Entwicklungen zu dokumentieren.

Wenn Sie Farbe auf einen gegebenen Kontext beziehen ist die Wahrscheinlichkeit der Akzeptanz der Maßnahmen hoch. Beziehungen zu regionaler Farbigkeit, regionalen Anstrichmitteln und Pigmenten sowie kulturellen Gefügen vermitteln wertvolle und langfristig angelegte Gestaltungslösungen. Gute farbige Gestaltung hat in diesem Sinne einen sozialen Aspekt, der an der Umgebung interessiert ist und nachhaltig wirkt. Farben spielen eine wichtige Rolle, wenn es um lebenswerte und gesunde Umgebungen geht. Die Zukunftsfelder der Farbgestaltung liegen in der Kommunikation ihrer fördernden Eigenschaften. Dabei sollten wir mit gutem Beispiel voran gehen und Gestaltung machen, die Schönheit mit Ecken und Kanten kombiniert, die modular, veränderbar, verspielt, elastisch, zirkulär und kommunikativ ist. Wege zu einer intuitiven Farbgestaltung im Sinne transformativer Gestaltung die fördert und ermöglicht, werden jetzt zu legen sein um eine Zukunft zu entwerfen, die lebenswerte, kulturvolle Umgebungen ermöglicht.

  • Gibt es Farben und Materialien, die (wissenschaftlich?) besonders für gewisse Einrichtungen oder bestimmte Räume geeignet sind?

Die farbliche Betonung von Funktionsbereichen der Innenarchitektur ist Beziehungsarbeit zwischen Mensch und Raum. Die IIT-Studie Office Atmospheres unterscheidet Kommunikations-, Regenerations- und Konzentrationsbereiche. Das Farbklima unterstützt die Differenzierung des Verhaltens in den Bereichen. In kommunikativen Bereichen werden Sehgewohnheiten anregender Farbgebung in den Raum übertragen. In Bereichen in denen Konzentration wichtig ist, wird die Farbgebung zurückhaltender und kühler. Entspannte und natürliche Farbprofile unterstützen die Regeneration. Farben übernehmen neben der Signaletik eine sehr wichtige orientierende Funktion im Raum und definieren ein atmosphärisches Klima. 

Die Angewohnheit, Architektur und Farbgebung zu trennen, ist verhängnisvoll, denn so können keine integrierten und ganzheitliches Raumatmosphären entstehen. Diese Architektur verbleibt in der reinen Räumlichkeit, so dass jede Farbe zur Dekoration wird. Wenn Farbe nurmehr als Dekoration zu erkennen ist, dann wird sie Opfer von Geschmack und persönlicher Präferenz. Die Architektur wird zum Grundriss, zum weißen Modell oder zur weißen Leinwand. Jeder farbige Anstrich wird in diesen Konzepten stören. Anzunehmen ist jedoch, dass ein fertiges Bild von Architektur gewünscht ist, das über die rein räumliche Wirkung hinaus geht und es vermag, funktionale, sensuelle und kulturelle Zusammenhänge integriert darzustellen. Ein Raum erzählt mehr als seine vier Wände und Architektur darf nicht losgelöst von Farbe und Material und Licht entworfen werden.